Ger­hard Mad­aus: Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heil­mit­tel. Ver­lag Georg Thie­me, Leip­zig, 1938
(Ori­gi­nal, voll­stän­dig erhal­ten) – bei eBay zu ver­kau­fenRezen­si­on 1938, Archiv der Pharmazie

Euphorbia – Seite 3 von 4 – Monographie Madaus

Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heilmittel
Mono­gra­phie Euphor­bia (Sei­te 3 von 4)
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Wirkung

Als das bes­te an der Wolfs­milch bezeich­net Loni­ce­rus1 die Wur­zel­rin­de, der nach ihm laxie­ren­de Wir­kung und Heil­kraft bei Was­ser­sucht zukommt. Vor dem Gebrauch des rei­nen Milch­saf­tes warnt er, weil die­ser dem Her­zen, der Leber und dem Magen scha­den, die Adern zer­bre­chen und Was­ser­sucht erzeu­gen soll. “Wolffs­milch ver­zert den leib /​ und macht dürr.” Bestrei­chen der War­zen mit Wolfs­milch “machet sie hinwegfallen”.
Vom Euphor­bi­um schreibt v. Hal­ler2, daß es “die zähes­ten Säf­te zusam­men­schmel­ze” und sich daher auch in den hart­nä­ckigs­ten Was­ser­such­ten bewährt habe, wenn der Pati­ent noch über Kräf­te ver­fü­ge. Äußer­lich soll es aus­ge­zeich­ne­te Diens­te bei Kno­chen­fraß leis­ten und als Öl bei atro­phie­ren­den und gelähm­ten Extre­mi­tä­ten sehr nütz­lich sein. In der heu­ti­gen Volks­me­di­zin wird der Milch­saft zur Besei­ti­gung von War­zen, der Samen als Brech­mit­tel ver­wandt3.
Über die Ver­wen­dung in der rus­si­schen Volks­me­di­zin gibt W. Demit­sch4 die fol­gen­de Übersicht:
“Von den Euphor­bia­ar­ten scheint am häu­figs­ten die Sumpf­wolfs­milch, Euphor­bia palus­tris L., gebraucht zu wer­den. Schon Lepe­chin erwähnt sie als ein Fie­ber­mit­tel (Tage­buch-Auf­zeich­nun­gen, 1768–1769. St. Peters­burg 1771, I, S. 76). An einer ande­ren Stel­le sagt er, daß eine Abko­chung der Pflan­ze als ein star­kes Abführ- und Wurm­mit­tel ein­ge­nom­men wird, oder man kaut ihre Wur­zel, was eben­falls dras­ti­sche Wir­kung hat (S. 201). – Pal­las (Rei­se durch ver­schie­de­ne Pro­vin­zen des rus­si­schen Reichs. St. Peters­burg 1773–1776, I, S. 35–36) erzählt, daß man sich sowohl des fri­schen Saf­tes als auch der Wur­zel, wel­che in hei­ßem Was­ser aus­ge­zo­gen wird, als Pur­gier­mit­tel bedient. Die Pflan­ze wur­de ihm gegen Wech­sel­fie­ber, “inne­re Ver­här­tun­gen” und ande­re Übel gerühmt. – Falk (Bei­trä­ge zur topo­gra­phi­schen Kennt­nis des rus­si­schen Reichs. St. Peters­burg 1785–1786, Teil II, S. 184–185) gibt an, daß Euphor­bia peplus L. und Euphor­bia exi­gua L. in der Iset­ti­schen Pro­vinz gegen Sei­ten­ste­chen gebraucht wer­den, und zwar wird die pul­ve­ri­sier­te Wur­zel gemischt mit dem Krau­te in Dosen von einem Fin­ger­hut voll in hei­ßem Kwas genom­men. Zwei ande­re Wolfs­milch­ar­ten, Euphor­bia sege­ta­lis L. und Euphor­bia pilosa L., wer­den von dem­sel­ben Autor als übli­che rus­si­sche Abführ­mit­tel ange­führt. – Nach Bry­kow (Eini­ge in Sibi­ri­en gebräuch­li­chen Volks­heil­mit­tel. Mili­tär-Medi­zin. Jour­nal 1829, Teil XIII, Nr. 1) wird Euphor­bia palus­tris in Sibi­ri­en inner­lich als Dras­ti­kum, bei Sod­bren­nen, rheu­ma­ti­schen Schmer­zen und beson­ders bei Hämor­rhoi­den ange­wandt. – Auch Kre­bel (Volks­me­di­cin und Volks­mit­tel ver­schie­de­ner Völ­ker­stäm­me Ruß­lands. Skiz­zen. Leip­zig und Hei­del­berg 1858, S. 116, 171 und 184) führt die pul­ve­ri­sier­te Wur­zel der­sel­ben Spe­ci­es in Dosen von 4 Gramm als Abführ­mit­tel an. In vie­len Pro­vin­zen Ruß­lands wird der Euphor­bi­en­saft bei Zahn­schmer­zen als ein auf die Haut ablei­ten­des Mit­tel benutzt, indem man den­sel­ben alle 3–4 Stun­den in das Ohr­läpp­chen der ent­spre­chen­den Sei­te ein­reibt, was einen pus­tu­lö­sen Aus­schlag zur Fol­ge hat. Ver­schie­de­ne Wolfs­milch­spe­ci­es die­nen dem Vol­ke, beson­ders in süd­li­chen Gegen­den, als Anti­lys­sikum. – In alten Zei­ten pfleg­te man in Ruß­land den Kran­ken den Saft von Euphor­bia esu­la L. ein­zu­ge­ben, wel­cher durch Erbre­chen Erleich­te­rung schaf­fen soll­te (Chany­kow, Russ­ki­ja Byli­ny. Mos­kau 1860, S. 70). – Am Fluß Argun ist Euphor­bia lathy­ris L. das gebräuch­lichs­te Volks­mit­tel. Eine Wur­zel­ab­ko­chung der­sel­ben wird bei vene­ri­schen Krank­hei­ten ein­ge­nom­men und zur Rei­ni­gung vene­ri­scher und skor­bu­ti­scher Geschwü­re ver­wen­det. Die fri­sche, in Schei­ben geschnit­te­ne Wur­zel wird auf Pana­ri­ti­en gelegt (N. Kaschein, Mediz.-topographische Beschrei­bung der Knja­se-Kon­stan­ti­now­schen “Distanz” des Krei­ses Nertschinsk. Mos­kau­er Mediz. Zei­tung 1860, S. 113). – Nach Annen­kow (Bota­ni­sches Lexi­kon. St. Peters­burg 1878, S. 139–140) wer­den ver­schie­de­ne Euphor­bi­en­spe­ci­es äußer­lich bei Hüh­ner­au­gen, War­zen usw. und inner­lich gegen Lys­sa ver­wen­det. – In der Ukrai­ne ist die Sumpf­wolfs­milch ein Anti­py­re­ti­kum und Anti­lys­sikum der Volks­ärz­te (K. S. Gor­nitz­ki, Bemer­kun­gen über eini­ge wild­wach­sen­de und ange­bau­te Pflan­zen der Ukrai­ne-Flo­ra, die als Volks­heil­mit­tel im Gebrau­che sind. Char­kow 1887, S. 71).”
Über die Ver­wen­dung in der tsche­chi­schen Volks­me­di­zin gibt mir Dostál fol­gen­de Zusammenstellung:
Nach Veles­la­vín (1) ist Euphor­bia cypa­ris­si­as ein star­kes Pur­gans und bre­chen­er­re­gen­des Mit­tel und wird des­halb nur bei star­ken Men­schen ver­wen­det. Die Milch ver­treibt die War­zen, Krus­ten, aber auch die Haa­re. Euphor­bia wird zu einer Sal­be gegen Räu­de am Kopf ver­wen­det. Die Wur­zel in Essig gekocht, und auf schmerz­haf­te Zäh­ne auf­ge­legt, mil­dert die Schmer­zen. Der­sel­be Autor emp­fiehlt die Samen oder einen Abguß der Blät­ter von Euphor­bia lathy­ris als Pur­gans und Brech­mit­tel. Das Öl, aus den Samen gewon­nen, ist ein Mit­tel gegen Wech­sel­fie­ber. Die Milch, ähn­lich wie bei Euphor­bi­um cypa­ris­si­as, besei­tigt die War­zen und Ekze­me, Som­mer­spros­sen, Fin­nen und ande­re Gesichts­un­rei­nig­kei­ten. Euphor­bia lathy­ris wird auch zur Haar­ent­fer­nung benützt (2). Euphor­bia peplus hat ähn­li­che Wir­kun­gen wie E. cypa­ris­si­as (3).
In der Lai­en­me­di­zin wird am meis­ten Euphor­bia cypa­ris­si­as ver­wen­det, und zwar zur Besei­ti­gung der War­zen (4, 5, 6, 7), hie und da auch gegen Sommersprossen.
Lite­ra­tur: (1) Veles­la­vín 1596, 437 D; (2) Veles­la­vin 1596, 436 D; (3) Veles­la­vín 1596, 439 B; (4) Polív­ka, Kvě­te­na IV. 197; (5) Svěrák, Věst­ník Mati­ce Opavs­ké, 1901, č. 9, 16; (6) Mos­ler, Lid. léč. od Opa­vy, čL. XI. 49; (7) Rou­bal, Rost­lin­ny v lid. podá­ní, čL. XI. 438.
Nach Hübot­ter5 wird in der chi­ne­sisch-mon­go­lisch-tibe­ta­ni­schen Medi­zin eine Euphor­bia­art bei Lun­gen­krank­hei­ten und Nie­ren­ent­zün­dung ange­wandt. Um wel­che Spe­zi­es es sich dabei han­delt, ist nicht erwähnt. Hin­ge­gen wird aus­führ­lich die Wir­kung der Euphor­bia lasio­cau­la Boiss. beschrie­ben. In der Mon­go­lei wird sie als Abführ­mit­tel bei schwe­ren Erkran­kun­gen gebraucht und zur “Beru­hi­gung geschwü­ri­ger Schä­den”. Wei­ter sagt man von ihr, daß sie stark diure­tisch auf Flüs­sig­keits­an­samm­lun­gen im Lei­be wirkt. Sie ist: “bit­ter, kalt, gif­tig, bringt das Blut in Bewe­gung, wirkt schweiß­trei­bend, beför­dert Stuhl und Urin, heilt die 12 Arten von Was­ser­sucht, Völ­lig­keits­ge­fühl im Lei­be, plötz­li­che Schmer­zen, Anhäu­fun­gen, Geschwüls­te am Hals und Ach­sel­ge­gend, hilft gegen gif­ti­ge Ein­flüs­se des Win­des und gegen geschwol­le­ne Füße, macht die Gefä­ße durch­gän­gig, bewirkt Abort. Aus Ver­se­hen ein­ge­nom­men, schä­digt die­se Medi­zin das rech­te Pneuma.”
Der Milch­saft der Wolfs­milch erzeugt Wür­gen, Gas­troen­teri­tis mit Erbre­chen und Durch­fall, Blut­aus­trit­te und Geschwür­bil­dung im Darm, kal­te Schwei­ße, unre­gel­mä­ßi­gen Puls, Pupil­len­er­wei­te­rung, Schwin­del, Deli­ri­en, Zuckun­gen6 u. U. aku­te Nephri­tis7, reizt die Schleim­haut der Atmungs­we­ge und ver­ur­sacht ört­li­che Rei­zun­gen, Ent­zün­dun­gen und Ver­ät­zun­gen der Haut, ins­be­son­de­re der Augen­bin­de- und Horn­haut8.
Der Milch­saft man­cher Euphor­bia­ar­ten wur­de zur Ent­fer­nung von War­zen und Som­mer­spros­sen sowie als Haar­ent­fer­nungs­mit­tel benutzt. Nach Tou­ton9 mach­te aber das dar­aus her­ge­stell­te Pul­ver und der Extrakt nicht nur eine eri­sy­pe­latö­se, ves­iku­lö­se, pus­tu­lö­se und phleg­monö­se Ent­zün­dung, son­dern führ­te sogar zu Gang­rän (in einem Fal­le wur­de die gan­ze Bauch­wand gang­ränös). Nach Tou­ton sind die kräf­tigs­ten Arten Euphor­bia corol­la­ta, Euphor­bia ipe­cacu­an­ha und die auch bei uns vor­kom­men­de Euphor­bia lathy­ris L.
Daß den Wolfs­milch­ge­wäch­sen eine star­ke anti­to­xin­bil­den­de und immun­stoff­lie­fern­de Wir­kung inne­wohnt, hat H. Much10 durch sei­ne Ver­su­che gezeigt: Mit Wolfs­milch­prä­pa­ra­ten vor­be­han­del­te Meer­schwein­chen setz­ten einer sonst töd­lich ver­lau­fen­den Infek­ti­on mit Ratin­ba­zil­len star­ken Wider­stand ent­ge­gen und über­stan­den die­se bei sach­ge­mä­ßer Behand­lung gut. (Den deut­lichs­ten Erfolg sah Much bei Ver­wen­dung der Gar­ten­wolfs­milch, Euph. peplus, die auch Hip­po­kra­tes11 verwandte.)
Die Ver­ord­nung von Wolfs­milch wäre daher bei noch fest­zu­stel­len­den Infek­ti­ons­krank­hei­ten als Vor­beu­gungs­mit­tel zu ver­su­chen, zumal ich bei der Wie­der­ho­lung der Much­schen Ver­su­che zu gleich guten Ergeb­nis­sen kam.
Die ver­wand­te Spe­ci­es Euphor­bia lathy­ris L. ist in der chi­ne­si­schen Medi­zin des 10. Jahr­hun­derts unter dem Namen Hsü-sui-tzu als Diure­ti­kum und Pur­gans erwähnt12.
In der homöo­pa­thi­schen Lite­ra­tur13 wird Euphor­bi­um beson­ders bei hef­ti­gen Katar­rhen der obe­ren Luft­we­ge im ers­ten Sta­di­um, bei Augen- und Ohren­ka­tarrh, Her­pes zos­ter und Ery­si­pel gelobt.
Als Inhalts­stof­fe des Krau­tes wer­den ange­ge­ben: Fett mit Olein, Ceryl­al­ko­hol, Euphor­bon, Fruc­to­se, Cho­lin, Euphor­bin, orga­ni­sche Säu­ren und Sal­ze. Der Milch­saft ent­hält u. a.: Euphor­bon, Harz, Kau­tschuk, Gal­lus­säu­re, Äpfel­säu­re, Wein­säu­re, Gum­mi, äthe­ri­sches und fet­tes Öl, viel­leicht auch ein Alka­lo­id14.

Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):

Däne­mark: Inner­lich gegen Was­ser­sucht; äußer­lich gegen Zahn­schmer­zen, als Sal­be gegen Krät­ze, zum Ent­fer­nen von Haa­ren und Warzen.
Nor­we­gen: Der Saft von Euphor­bia helio­sco­pia, E. esu­la und E. peplus als Sal­be bei Ring­flech­ten und War­zen (I. R.-K.).
Ungarn: Inner­lich gegen Was­ser­sucht, äußer­lich gegen Warzen.