Wirkung
Als das beste an der Wolfsmilch bezeichnet Lonicerus1 die Wurzelrinde, der nach ihm laxierende Wirkung und Heilkraft bei Wassersucht zukommt. Vor dem Gebrauch des reinen Milchsaftes warnt er, weil dieser dem Herzen, der Leber und dem Magen schaden, die Adern zerbrechen und Wassersucht erzeugen soll. “Wolffsmilch verzert den leib / und macht dürr.” Bestreichen der Warzen mit Wolfsmilch “machet sie hinwegfallen”.
Vom Euphorbium schreibt v. Haller2, daß es “die zähesten Säfte zusammenschmelze” und sich daher auch in den hartnäckigsten Wassersuchten bewährt habe, wenn der Patient noch über Kräfte verfüge. Äußerlich soll es ausgezeichnete Dienste bei Knochenfraß leisten und als Öl bei atrophierenden und gelähmten Extremitäten sehr nützlich sein. In der heutigen Volksmedizin wird der Milchsaft zur Beseitigung von Warzen, der Samen als Brechmittel verwandt3.
Über die Verwendung in der russischen Volksmedizin gibt W. Demitsch4 die folgende Übersicht:
“Von den Euphorbiaarten scheint am häufigsten die Sumpfwolfsmilch, Euphorbia palustris L., gebraucht zu werden. Schon Lepechin erwähnt sie als ein Fiebermittel (Tagebuch-Aufzeichnungen, 1768–1769. St. Petersburg 1771, I, S. 76). An einer anderen Stelle sagt er, daß eine Abkochung der Pflanze als ein starkes Abführ- und Wurmmittel eingenommen wird, oder man kaut ihre Wurzel, was ebenfalls drastische Wirkung hat (S. 201). – Pallas (Reise durch verschiedene Provinzen des russischen Reichs. St. Petersburg 1773–1776, I, S. 35–36) erzählt, daß man sich sowohl des frischen Saftes als auch der Wurzel, welche in heißem Wasser ausgezogen wird, als Purgiermittel bedient. Die Pflanze wurde ihm gegen Wechselfieber, “innere Verhärtungen” und andere Übel gerühmt. – Falk (Beiträge zur topographischen Kenntnis des russischen Reichs. St. Petersburg 1785–1786, Teil II, S. 184–185) gibt an, daß Euphorbia peplus L. und Euphorbia exigua L. in der Isettischen Provinz gegen Seitenstechen gebraucht werden, und zwar wird die pulverisierte Wurzel gemischt mit dem Kraute in Dosen von einem Fingerhut voll in heißem Kwas genommen. Zwei andere Wolfsmilcharten, Euphorbia segetalis L. und Euphorbia pilosa L., werden von demselben Autor als übliche russische Abführmittel angeführt. – Nach Brykow (Einige in Sibirien gebräuchlichen Volksheilmittel. Militär-Medizin. Journal 1829, Teil XIII, Nr. 1) wird Euphorbia palustris in Sibirien innerlich als Drastikum, bei Sodbrennen, rheumatischen Schmerzen und besonders bei Hämorrhoiden angewandt. – Auch Krebel (Volksmedicin und Volksmittel verschiedener Völkerstämme Rußlands. Skizzen. Leipzig und Heidelberg 1858, S. 116, 171 und 184) führt die pulverisierte Wurzel derselben Species in Dosen von 4 Gramm als Abführmittel an. In vielen Provinzen Rußlands wird der Euphorbiensaft bei Zahnschmerzen als ein auf die Haut ableitendes Mittel benutzt, indem man denselben alle 3–4 Stunden in das Ohrläppchen der entsprechenden Seite einreibt, was einen pustulösen Ausschlag zur Folge hat. Verschiedene Wolfsmilchspecies dienen dem Volke, besonders in südlichen Gegenden, als Antilyssikum. – In alten Zeiten pflegte man in Rußland den Kranken den Saft von Euphorbia esula L. einzugeben, welcher durch Erbrechen Erleichterung schaffen sollte (Chanykow, Russkija Byliny. Moskau 1860, S. 70). – Am Fluß Argun ist Euphorbia lathyris L. das gebräuchlichste Volksmittel. Eine Wurzelabkochung derselben wird bei venerischen Krankheiten eingenommen und zur Reinigung venerischer und skorbutischer Geschwüre verwendet. Die frische, in Scheiben geschnittene Wurzel wird auf Panaritien gelegt (N. Kaschein, Mediz.-topographische Beschreibung der Knjase-Konstantinowschen “Distanz” des Kreises Nertschinsk. Moskauer Mediz. Zeitung 1860, S. 113). – Nach Annenkow (Botanisches Lexikon. St. Petersburg 1878, S. 139–140) werden verschiedene Euphorbienspecies äußerlich bei Hühneraugen, Warzen usw. und innerlich gegen Lyssa verwendet. – In der Ukraine ist die Sumpfwolfsmilch ein Antipyretikum und Antilyssikum der Volksärzte (K. S. Gornitzki, Bemerkungen über einige wildwachsende und angebaute Pflanzen der Ukraine-Flora, die als Volksheilmittel im Gebrauche sind. Charkow 1887, S. 71).”
Über die Verwendung in der tschechischen Volksmedizin gibt mir Dostál folgende Zusammenstellung:
Nach Veleslavín (1) ist Euphorbia cyparissias ein starkes Purgans und brechenerregendes Mittel und wird deshalb nur bei starken Menschen verwendet. Die Milch vertreibt die Warzen, Krusten, aber auch die Haare. Euphorbia wird zu einer Salbe gegen Räude am Kopf verwendet. Die Wurzel in Essig gekocht, und auf schmerzhafte Zähne aufgelegt, mildert die Schmerzen. Derselbe Autor empfiehlt die Samen oder einen Abguß der Blätter von Euphorbia lathyris als Purgans und Brechmittel. Das Öl, aus den Samen gewonnen, ist ein Mittel gegen Wechselfieber. Die Milch, ähnlich wie bei Euphorbium cyparissias, beseitigt die Warzen und Ekzeme, Sommersprossen, Finnen und andere Gesichtsunreinigkeiten. Euphorbia lathyris wird auch zur Haarentfernung benützt (2). Euphorbia peplus hat ähnliche Wirkungen wie E. cyparissias (3).
In der Laienmedizin wird am meisten Euphorbia cyparissias verwendet, und zwar zur Beseitigung der Warzen (4, 5, 6, 7), hie und da auch gegen Sommersprossen.
Literatur: (1) Veleslavín 1596, 437 D; (2) Veleslavin 1596, 436 D; (3) Veleslavín 1596, 439 B; (4) Polívka, Květena IV. 197; (5) Svěrák, Věstník Matice Opavské, 1901, č. 9, 16; (6) Mosler, Lid. léč. od Opavy, čL. XI. 49; (7) Roubal, Rostlinny v lid. podání, čL. XI. 438.
Nach Hübotter5 wird in der chinesisch-mongolisch-tibetanischen Medizin eine Euphorbiaart bei Lungenkrankheiten und Nierenentzündung angewandt. Um welche Spezies es sich dabei handelt, ist nicht erwähnt. Hingegen wird ausführlich die Wirkung der Euphorbia lasiocaula Boiss. beschrieben. In der Mongolei wird sie als Abführmittel bei schweren Erkrankungen gebraucht und zur “Beruhigung geschwüriger Schäden”. Weiter sagt man von ihr, daß sie stark diuretisch auf Flüssigkeitsansammlungen im Leibe wirkt. Sie ist: “bitter, kalt, giftig, bringt das Blut in Bewegung, wirkt schweißtreibend, befördert Stuhl und Urin, heilt die 12 Arten von Wassersucht, Völligkeitsgefühl im Leibe, plötzliche Schmerzen, Anhäufungen, Geschwülste am Hals und Achselgegend, hilft gegen giftige Einflüsse des Windes und gegen geschwollene Füße, macht die Gefäße durchgängig, bewirkt Abort. Aus Versehen eingenommen, schädigt diese Medizin das rechte Pneuma.”
Der Milchsaft der Wolfsmilch erzeugt Würgen, Gastroenteritis mit Erbrechen und Durchfall, Blutaustritte und Geschwürbildung im Darm, kalte Schweiße, unregelmäßigen Puls, Pupillenerweiterung, Schwindel, Delirien, Zuckungen6 u. U. akute Nephritis7, reizt die Schleimhaut der Atmungswege und verursacht örtliche Reizungen, Entzündungen und Verätzungen der Haut, insbesondere der Augenbinde- und Hornhaut8.
Der Milchsaft mancher Euphorbiaarten wurde zur Entfernung von Warzen und Sommersprossen sowie als Haarentfernungsmittel benutzt. Nach Touton9 machte aber das daraus hergestellte Pulver und der Extrakt nicht nur eine erisypelatöse, vesikulöse, pustulöse und phlegmonöse Entzündung, sondern führte sogar zu Gangrän (in einem Falle wurde die ganze Bauchwand gangränös). Nach Touton sind die kräftigsten Arten Euphorbia corollata, Euphorbia ipecacuanha und die auch bei uns vorkommende Euphorbia lathyris L.
Daß den Wolfsmilchgewächsen eine starke antitoxinbildende und immunstoffliefernde Wirkung innewohnt, hat H. Much10 durch seine Versuche gezeigt: Mit Wolfsmilchpräparaten vorbehandelte Meerschweinchen setzten einer sonst tödlich verlaufenden Infektion mit Ratinbazillen starken Widerstand entgegen und überstanden diese bei sachgemäßer Behandlung gut. (Den deutlichsten Erfolg sah Much bei Verwendung der Gartenwolfsmilch, Euph. peplus, die auch Hippokrates11 verwandte.)
Die Verordnung von Wolfsmilch wäre daher bei noch festzustellenden Infektionskrankheiten als Vorbeugungsmittel zu versuchen, zumal ich bei der Wiederholung der Muchschen Versuche zu gleich guten Ergebnissen kam.
Die verwandte Species Euphorbia lathyris L. ist in der chinesischen Medizin des 10. Jahrhunderts unter dem Namen Hsü-sui-tzu als Diuretikum und Purgans erwähnt12.
In der homöopathischen Literatur13 wird Euphorbium besonders bei heftigen Katarrhen der oberen Luftwege im ersten Stadium, bei Augen- und Ohrenkatarrh, Herpes zoster und Erysipel gelobt.
Als Inhaltsstoffe des Krautes werden angegeben: Fett mit Olein, Cerylalkohol, Euphorbon, Fructose, Cholin, Euphorbin, organische Säuren und Salze. Der Milchsaft enthält u. a.: Euphorbon, Harz, Kautschuk, Gallussäure, Äpfelsäure, Weinsäure, Gummi, ätherisches und fettes Öl, vielleicht auch ein Alkaloid14.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Innerlich gegen Wassersucht; äußerlich gegen Zahnschmerzen, als Salbe gegen Krätze, zum Entfernen von Haaren und Warzen.
Norwegen: Der Saft von Euphorbia helioscopia, E. esula und E. peplus als Salbe bei Ringflechten und Warzen (I. R.-K.).
Ungarn: Innerlich gegen Wassersucht, äußerlich gegen Warzen.