Ger­hard Mad­aus: Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heil­mit­tel. Ver­lag Georg Thie­me, Leip­zig, 1938
(Ori­gi­nal, voll­stän­dig erhal­ten) – bei eBay zu ver­kau­fenRezen­si­on 1938, Archiv der Pharmazie

Jaborandi – Seite 3 von 4 – Monographie Madaus

Lehr­buch der bio­lo­gi­schen Heilmittel
Mono­gra­phie Jaboran­di (Sei­te 3 von 4)
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Wirkung

Jaboran­di­blät­ter ent­hal­ten bis zu 1% Alka­lo­ide, von denen das Pilo­car­pin im wesent­li­chen die Wir­kung der Dro­ge bedingt1.
Die cha­rak­te­ris­tischs­te Wir­kung des Pilo­car­pins ist die Erre­gung der para­sym­pa­thi­schen Ner­ven­digun­gen. In die­ser Hin­sicht gehört es mit Are­co­lin, Phy­sos­tig­min, Mus­ca­rin und den Cho­lin­de­ri­va­ten in eine Grup­pe2. Am meis­ten ähnelt es dem Phy­sos­tig­min und Are­co­lin3. Beson­der­hei­ten im Wir­kungs­me­cha­nis­mus des Phy­sos­tig­mins sie­he bei Cala­bar. Zu die­ser Wir­kung kommt eine Erre­gung des Rücken­marks, wie beim Niko­tin, doch hält die­se Wir­kung beim Pilo­car­pin all­ge­mein län­ger an4. Die Sekre­ti­on aller wah­ren Drü­sen wird gestei­gert5. Das Stu­di­um der Anre­gung der Spei­chel­drü­sen­se­kre­ti­on hat beson­ders zur Erken­nung des Angriffs­punk­tes an den para­sym­pa­thi­schen Ner­ven­digun­gen bei­getra­gen6. Im all­ge­mei­nen ist vor allem die Sekre­ti­on der Schweiß­drü­sen gestei­gert. An die­ser Wir­kung ist außer dem peri­phe­ren Angriffs­punkt7 eine Erre­gung der spi­na­len Schweiß­zen­tren betei­ligt8. Tonus und Peris­tal­tik der glat­ten Mus­ku­la­tur wer­den erhöht. Am Magen-Darm­ka­nal bei­spiels­wei­se kann es zu toni­scher Kon­trak­tur kom­men9 (sie­he Ver­gif­tungs­er­schei­nun­gen). Am Auge tre­ten maxi­ma­le Mio­sis und Nah­ak­kom­mo­da­ti­on durch Erre­gung der Ocu­lo­mo­to­ri­usen­di­gun­gen auf10. Das Pilo­car­pin wird in der Augen­heil­kun­de als Mio­ti­kum und zur Her­ab­set­zung des intrao­cu­la­ren Drucks ver­wen­det11. Wir­kun­gen auf Herz und Gefä­ße sie­he unten. Hin­sicht­lich des theo­re­tisch und toxi­ko­lo­gisch wich­ti­gen Ant­ago­nis­mus gegen­über Atro­pin wird auf die zusam­men­fas­sen­de Lite­ra­tur ver­wie­sen12.
Pen­zoldt13 nennt das Pilo­car­pin “das ein­zig ech­te Dia­pho­re­ti­kum des Arz­nei­schat­zes”. Auch Rost-Klem­pe­rer14 emp­feh­len es als gut­wir­ken­des dia­pho­re­ti­sches Mittel.
Eben­so wird Jaboran­di in der eng­li­schen Medi­zin als gutes Dia­pho­re­ti­kum und Sial­agogum geschätzt. Rin­ger und Gould emp­fah­len es außer­dem zur Stei­ge­rung der Milch­se­kre­ti­on15.
Leb­haft ange­regt wer­den auch die Spei­chel- und Bron­chi­al­drü­sen. Infol­ge der star­ken Tätig­keit der letz­te­ren kann es zu Lun­gen­ödem kom­men. Ande­rer­seits aber wer­den dadurch bei Krupp, Pseu­do­krupp und krupp­öser Bron­chi­tis die Mem­bra­nen abge­löst, wodurch dem Pati­en­ten u. U. das Leben geret­tet wer­den kann16.
Hop­pe-Sey­ler17 sah sehr gute Erfol­ge mit Jaboran­di bei Asth­ma. Es ist nach Mahlo ein vor­treff­li­ches Expektorans.
Wei­ter wird die Sekre­ti­on der Darm­drü­sen durch Pilo­car­pin gestei­gert, so daß wäß­ri­ge Stüh­le ent­leert wer­den. Da schließ­lich auch Trä­nen­drü­sen, Nasen­schleim­haut­drü­sen, Drü­sen des Pha­rynx, des Larynx, des Magens, des Pan­kre­as usw. an der ver­stärk­ten Sekre­ti­on betei­ligt sind, wird der Kör­per rasch was­ser­arm, und es gelingt durch Pilo­car­pin-behand­lung, intra­du­ra­le Exsu­da­te wie auch Exsu­da­te ins inne­re Ohr und hin­ter die Reti­na rasch rück­gän­gig zu machen und dadurch Abla­tio reti­nae, Laby­rin­thex­su­da­te, Gehirn­ödem und Exsu­da­te in die Ven­tri­kel (Eklamp­sie, Urämie) güns­tig zu beein­flus­sen18. Die Schild­drü­se son­dert eben­falls stär­ker ab19. Am Ute­rus tre­ten Kon­trak­tio­nen auf, die zu Abor­tus füh­ren kön­nen, so daß man es Gra­vi­den nicht ver­ord­nen darf. Die Herz­tä­tig­keit wird ver­lang­samt, durch grö­ße­re Dosen geschwächt20. Das Blut­bild weist Leu­ko­zy­to­se21 auf, bei Vago­to­ni­kern Eosi­no­phi­lie22. Die Haut­ge­fä­ße wer­den erwei­tert, so daß es infol­ge stär­ke­rer Blut­fül­lung des Haar­bo­dens zu einer För­de­rung des Haar­wuch­ses kom­men kann23. Sym­pto­me der Pilo­car­pin-Ver­gif­tung sind außer der Sali­va­ti­on und Hidro­sis Trä­nen­fluß, star­ke Nasen­se­kre­ti­on, Nau­sea, Erbre­chen, Diar­rhöe, Pupil­len­ver­en­gung, Akkom­mo­da­ti­ons­krampf, Herz­klop­fen24, Kon­vul­sio­nen, Zit­tern, Dys­pnoe, erst Stei­gen, dann Sin­ken des Blut­drucks25, Arhyth­mie, Ste­chen der Ure­thra, Tenes­mus vesi­ca­l­is, Kopf­schmerz, Ver­ti­go und die bereits genann­ten26.
Von Mil­ko27 wird ein eigen­ar­ti­ger Ver­gif­tungs­fall durch Pilo­car­pin berich­tet. Ein 43jähriger Mann hat­te seit eini­gen Mona­ten ein selbst her­ge­stell­tes Haar­was­ser gebraucht, das als Haupt­be­stand­teil Pilo­car­pi­num hydro­chlo­ri­cum ent­hielt. Nach eini­ger Zeit stell­ten sich wie­der­hol­te, kurz andau­ern­de Ohn­machts­an­fäl­le und unan­ge­neh­me Sen­sa­tio­nen in der Herz­ge­gend ein, und die Leis­tungs-fähig­keit und die Arbeits­lust nah­men erheb­lich ab. Ein­mal trat ein 14 Tage anhal­ten­der, fie­ber­lo­ser Durch­fall ohne äuße­re Ursa­che ein, der dann einer zeit­wei­sen Obs­ti­pa­ti­on wich. Der Pati­ent war frü­her nie krank gewe­sen, hat­te aber in den letz­ten drei Mona­ten trotz guter Ernäh­rung und wenig Bewe­gung 8 kg abge­nom­men. Nach­dem die Ein­rei­bun­gen mit dem pilo­car­pin­hal­ti­gen Haar­was­ser ein­ge­stellt wor­den waren, wie­der­hol­ten sich weder die Ohn­machts­an­fäl­le noch die Stö­run­gen der Peris­tal­tik, und der Pati­ent erhol­te sich sehr rasch wieder.
Eine sehr aus­ge­dehn­te Ver­wen­dung fin­det Jaboran­di in der bra­si­lia­ni­schen Medi­zin28, wo das Mit­tel gegen Hals­ent­zün­dung, lympha­ti­sche Was­ser­sucht, Grip­pe, aku­te Bron­chi­tis, Urämie, Beri­be­ri, Darm- und Leber­ko­li­ken benutzt wird. Wegen ihrer spei­chel­trei­ben­den Wir­kung wird die Pflan­ze auch bei Zie­gen­pe­ter ver­ord­net. Schließ­lich wird sie auch dort als aus­ge­zeich­ne­tes Haar­to­ni­kum gerühmt.
In der Homöo­pa­thie wird Jaboran­di von Haehl beson­ders als Mit­tel gegen Nau­sea und Vomitus gra­vi­dar­um geschätzt.
In klei­nen homöo­pa­thi­schen Gaben soll es wei­ter mit gutem Erfol­ge bei abnor­mer Schweiß­bil­dung, beson­ders bei Nacht­schweiß der Phthi­si­ker, bei Spei­chel­fluß und Harn­be­schwer­den wäh­rend der Schwan­ger­schaft, fer­ner bei Akkom­mo­da­ti­ons­krampf und Seh­stö­run­gen ver­schie­de­ner Art ange­wandt wer­den. Auch Base­dowsche Krank­heit, Bron­chi­tis mit pro­fu­ser Abson­de­rung wäß­ri­ger Schlei­me, Ohr­spei­chel­drü­sen­ent­zün­dung und Dys­me­nor­rhöe wer­den genannt29.
Als wei­te­re Inhalts­stof­fe neben dem Pilo­car­pin wer­den u. a. genannt: Pilo­car­pi­din, Jabor­in, Pseu­do­pi­lo­car­pin, Pseu­do­ja­bor­in, Car­pi­lin, 0,2–1% äthe­ri­sches Öl30. Über die Wert­be­stim­mung s. Pey­er-Gstir­ner31.