Wirkung
Jaborandiblätter enthalten bis zu 1% Alkaloide, von denen das Pilocarpin im wesentlichen die Wirkung der Droge bedingt1.
Die charakteristischste Wirkung des Pilocarpins ist die Erregung der parasympathischen Nervendigungen. In dieser Hinsicht gehört es mit Arecolin, Physostigmin, Muscarin und den Cholinderivaten in eine Gruppe2. Am meisten ähnelt es dem Physostigmin und Arecolin3. Besonderheiten im Wirkungsmechanismus des Physostigmins siehe bei Calabar. Zu dieser Wirkung kommt eine Erregung des Rückenmarks, wie beim Nikotin, doch hält diese Wirkung beim Pilocarpin allgemein länger an4. Die Sekretion aller wahren Drüsen wird gesteigert5. Das Studium der Anregung der Speicheldrüsensekretion hat besonders zur Erkennung des Angriffspunktes an den parasympathischen Nervendigungen beigetragen6. Im allgemeinen ist vor allem die Sekretion der Schweißdrüsen gesteigert. An dieser Wirkung ist außer dem peripheren Angriffspunkt7 eine Erregung der spinalen Schweißzentren beteiligt8. Tonus und Peristaltik der glatten Muskulatur werden erhöht. Am Magen-Darmkanal beispielsweise kann es zu tonischer Kontraktur kommen9 (siehe Vergiftungserscheinungen). Am Auge treten maximale Miosis und Nahakkommodation durch Erregung der Oculomotoriusendigungen auf10. Das Pilocarpin wird in der Augenheilkunde als Miotikum und zur Herabsetzung des intraocularen Drucks verwendet11. Wirkungen auf Herz und Gefäße siehe unten. Hinsichtlich des theoretisch und toxikologisch wichtigen Antagonismus gegenüber Atropin wird auf die zusammenfassende Literatur verwiesen12.
Penzoldt13 nennt das Pilocarpin “das einzig echte Diaphoretikum des Arzneischatzes”. Auch Rost-Klemperer14 empfehlen es als gutwirkendes diaphoretisches Mittel.
Ebenso wird Jaborandi in der englischen Medizin als gutes Diaphoretikum und Sialagogum geschätzt. Ringer und Gould empfahlen es außerdem zur Steigerung der Milchsekretion15.
Lebhaft angeregt werden auch die Speichel- und Bronchialdrüsen. Infolge der starken Tätigkeit der letzteren kann es zu Lungenödem kommen. Andererseits aber werden dadurch bei Krupp, Pseudokrupp und kruppöser Bronchitis die Membranen abgelöst, wodurch dem Patienten u. U. das Leben gerettet werden kann16.
Hoppe-Seyler17 sah sehr gute Erfolge mit Jaborandi bei Asthma. Es ist nach Mahlo ein vortreffliches Expektorans.
Weiter wird die Sekretion der Darmdrüsen durch Pilocarpin gesteigert, so daß wäßrige Stühle entleert werden. Da schließlich auch Tränendrüsen, Nasenschleimhautdrüsen, Drüsen des Pharynx, des Larynx, des Magens, des Pankreas usw. an der verstärkten Sekretion beteiligt sind, wird der Körper rasch wasserarm, und es gelingt durch Pilocarpin-behandlung, intradurale Exsudate wie auch Exsudate ins innere Ohr und hinter die Retina rasch rückgängig zu machen und dadurch Ablatio retinae, Labyrinthexsudate, Gehirnödem und Exsudate in die Ventrikel (Eklampsie, Urämie) günstig zu beeinflussen18. Die Schilddrüse sondert ebenfalls stärker ab19. Am Uterus treten Kontraktionen auf, die zu Abortus führen können, so daß man es Graviden nicht verordnen darf. Die Herztätigkeit wird verlangsamt, durch größere Dosen geschwächt20. Das Blutbild weist Leukozytose21 auf, bei Vagotonikern Eosinophilie22. Die Hautgefäße werden erweitert, so daß es infolge stärkerer Blutfüllung des Haarbodens zu einer Förderung des Haarwuchses kommen kann23. Symptome der Pilocarpin-Vergiftung sind außer der Salivation und Hidrosis Tränenfluß, starke Nasensekretion, Nausea, Erbrechen, Diarrhöe, Pupillenverengung, Akkommodationskrampf, Herzklopfen24, Konvulsionen, Zittern, Dyspnoe, erst Steigen, dann Sinken des Blutdrucks25, Arhythmie, Stechen der Urethra, Tenesmus vesicalis, Kopfschmerz, Vertigo und die bereits genannten26.
Von Milko27 wird ein eigenartiger Vergiftungsfall durch Pilocarpin berichtet. Ein 43jähriger Mann hatte seit einigen Monaten ein selbst hergestelltes Haarwasser gebraucht, das als Hauptbestandteil Pilocarpinum hydrochloricum enthielt. Nach einiger Zeit stellten sich wiederholte, kurz andauernde Ohnmachtsanfälle und unangenehme Sensationen in der Herzgegend ein, und die Leistungs-fähigkeit und die Arbeitslust nahmen erheblich ab. Einmal trat ein 14 Tage anhaltender, fieberloser Durchfall ohne äußere Ursache ein, der dann einer zeitweisen Obstipation wich. Der Patient war früher nie krank gewesen, hatte aber in den letzten drei Monaten trotz guter Ernährung und wenig Bewegung 8 kg abgenommen. Nachdem die Einreibungen mit dem pilocarpinhaltigen Haarwasser eingestellt worden waren, wiederholten sich weder die Ohnmachtsanfälle noch die Störungen der Peristaltik, und der Patient erholte sich sehr rasch wieder.
Eine sehr ausgedehnte Verwendung findet Jaborandi in der brasilianischen Medizin28, wo das Mittel gegen Halsentzündung, lymphatische Wassersucht, Grippe, akute Bronchitis, Urämie, Beriberi, Darm- und Leberkoliken benutzt wird. Wegen ihrer speicheltreibenden Wirkung wird die Pflanze auch bei Ziegenpeter verordnet. Schließlich wird sie auch dort als ausgezeichnetes Haartonikum gerühmt.
In der Homöopathie wird Jaborandi von Haehl besonders als Mittel gegen Nausea und Vomitus gravidarum geschätzt.
In kleinen homöopathischen Gaben soll es weiter mit gutem Erfolge bei abnormer Schweißbildung, besonders bei Nachtschweiß der Phthisiker, bei Speichelfluß und Harnbeschwerden während der Schwangerschaft, ferner bei Akkommodationskrampf und Sehstörungen verschiedener Art angewandt werden. Auch Basedowsche Krankheit, Bronchitis mit profuser Absonderung wäßriger Schleime, Ohrspeicheldrüsenentzündung und Dysmenorrhöe werden genannt29.
Als weitere Inhaltsstoffe neben dem Pilocarpin werden u. a. genannt: Pilocarpidin, Jaborin, Pseudopilocarpin, Pseudojaborin, Carpilin, 0,2–1% ätherisches Öl30. Über die Wertbestimmung s. Peyer-Gstirner31.