Rhabarber

Hahnemanns Apothekerlexikon
vorheriges KapitelZurückInhaltsverzeichnisWeiternächstes Kapitel

Rha­bar­ber (Rha­bar­barum ver­um, Rhe­um) ist eine nun etwas über 200 Jahr in Deutsch­land, (von Augs­burg aus zuerst) bekann­te Wur­zel, die schon bei den Ara­bi­schen Aerz­ten in Ansehn stand.

In ältern Zei­ten zog man die­se Wur­zel, als noch der unmit­tel­ba­re Han­del nach Chi­na um das Vor­ge­bür­ge der guten Hof­nung her­um theils noch nicht eröf­net, theils noch nicht gehö­rig im Gan­ge war, ein­zig, und als letz­te­rer schon blü­he­te, anfangs vor­zugs­wei­se über Augs­burg, Vene­dig und Alex­an­dri­en von den Tür­ken (Rha­bar­barum tur­ci­cum, Alex­an­drinum), wel­che sie durch Per­si­en von den Bucha­ren ein­han­del­ten, und schätz­te sie höher als die aus Chi­na gebrach­te, weil ers­te­re größ­tent­heils zu Lan­de, letz­te­re aber, wie man glaub­te, durch die Mee­res­luft der lan­gen See­rei­se ver­dor­ben, zu uns gebracht werde.

Damahls war aller­dings die tür­ki­sche (die man jetzt wenig mehr im Han­del hat, und die sich durch kaum feder­spul­di­cken Löcher von der rus­si­schen unter­schei­det, der sie übri­gens sehr nahe kömmt,) die vor­züg­lichs­te, und ward selbst der zu jener Zeit aus Ruß­land kom­men­den vor­ge­zo­gen, weil in die­sem Lan­de damahls die Anstal­ten zu ihrer Prü­fung fehl­ten, wel­che in neu­ern Zei­ten ein­ge­rich­tet wor­den sind. Ver­mö­ge die­ser in Ruß­land jezt bestehen­den Ver­fas­sung wer­den vom peters­bur­ger Kom­merz­kol­le­gi­um, durch des­sen Agen­ten in Kiach­ta in Sibi­ri­en, die von den Bucha­ri­schen und Kalmu­cki­schen, über die Grän­ze jähr­lich kom­men­den Kauf­leu­ten her­über gebrach­ten, schon trock­nen Wur­zeln der­ge­stalt ein­ge­han­delt, daß man unter Zuzie­hung eines dor­ti­gen dazu ange­stell­ten Apo­the­kers bloß die taug­lichs­ten, tro­ckens­ten Wur­zeln (nach vor­gän­gi­ger Anboh­rung zur Prü­fung ihres Innern) aus­sucht, die untaug­li­chen aber sogleich ver­brennt, wor­auf das Aus­ge­such­te in ver­pich­ten Kis­ten gepackt auf das Waa­ren­la­ger des Kom­merz­kol­le­gi­ums zu Peters­burg ver­sandt, und hier (wie Eini­ge sagen,) nach noch­mah­li­ger Prü­fung an jeder­mann ver­kauft wird.

Die­se rus­si­sche Rha­bar­ber (Rad. Rha­barb. rus-sici, bucha­ri­ci, mosco­vi­ti­ci) besteht ent­we­der aus span­nen­lan­gen läng­licht­run­den, kaum zwei Zoll dicken, oder plat­ten Stü­cken, sämmt­lich mit einem drei Vier­tel­zoll wei­ten Bohr­lo­che am Ende oder in der Mit­ten ver­se­hen, wel­ches sie zur Prü­fung ihrer innern Güte, nicht aber der bes­sern Trock­nung wegen, wie man wähnt, erhal­ten haben; man­che Stü­cken sind so aus­ge­höhlt, daß sie einer Rin­de ähn­lich sehen. Man sieht deut­lich, wie sie von außen mit roher Hand mit­telst eines Mes­sers abge­schält wor­den, daher ihre viel­ecki­ge äuße­re Gestalt. Ihre Far­be ist mar­mor­irt aus Rosen­roth, Weiß und Gelb, oft in stern­för­mi­gen Schat­ti­run­gen. Ihr Gewe­be läßt sich leicht mit den Fin­gern zer­brö­ckeln, ihre Sub­stanz knirscht beim Kau­en merk­lich unter den Zäh­nen (wegen der inwoh­nen­den zucker­sau­ren Kalk­er­de) ist bit­ter­lich ekel­haft, schärf­licht und etwas zusam­men­zie­hend von Ge-schma­cke, und von eige­nem wid­ri­gem Geru­che, der nur sehr unei­gent­lich aro­ma­tisch genannt wer­den kann. Sie ist dem Schim­mel und Wurm­sti­che mehr unter­wor­fen, leich­ter am Gewich­te, röther von Far­be und mür­ber, als die soge­nann­te dänische.

Die däni­sche Rha­bar­ber (Rad. Rha­bar­ba­ri dani-ci, sini­ci, chi­nen­sis, indi­ci) wächst in wär­mern Gegen­den des chi­ne­si­schen Reichs, als die bucha­ri­sche oder rus­si­sche, und ist daher von gerin­ge­rer Güte. Sie wird in Can­ton in Chi­na gela­den, und größ­tent­heils durch die Dänen zu uns gebracht. Die feuch­te Mee­res­luft auf einer so wei­ten See­rei­se kann etwas zu Ver­rin­ge­rung ihrer Güte bei­tra­gen. Sie ist von adstrin­gi-rend­erm Geschma­cke, hell­far­bi­ger, schwe­rer, der­ber, fast gar nicht durch­lö­chert, ent­we­der lang und wal­zen­för­mig, oder wie gewöhn­lich von plat­ter Form, die sie durch ein star­kes Pres­sen im fri­schen Zustan­de erhal­ten zu haben scheint; ein Umstand, der viel­leicht eben­falls ihre Güte ver­rin­gert. Sie soll auf erhitz­ten Stei­nen gepreßt und umge­legt, und dann an star­ker Son­nen­hit­ze getrock­net wer­den. Sie ist weit wohl­fei­ler als die russische.

Es gie­bt noch eine in Ruß­land in den Apo­the­ken gebräuch­li­che sibi­ri­sche Rha­bar­ber (Rad. Rha­bar-bari sibi­ri­ci) wel­che, so viel ich weiß, nicht in den Han­del aus­wärts kömmt, von so gerin­ger Güte, daß drei Thei­le nur so viel Kraft besit­zen, als ein Theil, bucha­ri­sche. Die um Nert­schink wach­sen­de, wo gro­ße Pflan­zun­gen auf ber­gich­ten Gegen­den ange­legt sind, ist noch die kräf­tigs­te und kömmt der bucha­ri­schen ziem­lich nahe. Sie stammt von der Wur­zel der sechs­jäh­ri­gen Pflan­ze des Rhe­um undu­la­tum L. [Linné amoen. ac. III. tab. 4] mit etwas zot­tig­haa­ri­gen, wel­len­för­mi­gen, gestiel­ten, glei­chen Blättern.

In Euro­pa über­haupt und in Deutsch­land ins­be­sond­re hat man mit gro­ßem Eifer Rha­bar­ber zu bau­en ver­sucht, und dazu die äch­te ost­in­di­sche Spe­zi­es zu erhal­ten gesucht. Die Ver­su­che mit Rhe­um Rha­bar-barum L. [Zorn, pl. med. tab. 418] schlu­gen fehl; Far­be und Geschmack der Wur­zel war wenig von denen der größ­ten Arten Rum­exver­schie­den. Bes­ser war die Sor­te von Rhe­um com­pac­tum, L. [Mill. dict. tab. 218] mit etwas in Lap­pen get­heil­ten, ganz stump­fen, glat­ten, glän­zen­den und gezäh­nel­ten Blät­tern und dem Rhe­um pal­ma­tum, L. [Zorn, pl. med. tab. 255] mit hand­för­mi­gen zuge­spitz­ten Blät­tern; er-ste­re zeig­te im Bru­che mehr das Röth­li­che einer guten Rha­bar­ber, behielt auch im Trock­nen bes­ser die gehö­ri­ge Form, als letz­te­re, wel­che zu unan­sehn­li­chen Stü­cken zusam­men­schrumpf­te. Bes­ser noch als bei­de zeig­te sich die Wur­zel der größ­ten bekann­ten Art, des Rhe­um hybri­dum, L. [Murr. Comm. Gött.1779. tab. 1.] mit herz­för­mi­gen, zuge­spitz­ten, ebe­nen Blät­tern, wovon die aus der Wur­zel ent­sprin­gen­den auf bei­den Sei­ten gewöhn­lich drei Zäh­ne haben, die des Sten­gels aber zurück­ge­bo­gen sind.

Soviel man sich aber auch von den in Euro­pa gezo­ge­nen Rha­bar­ber­sor­ten ver­spro­chen, so kühn man sie auch hie und da an Kraft der asia­ti­schen an die Sei­te gestellt hat, so fehlt doch, wenigs­tens in Deutsch­land, noch viel dar­an, daß man sei­ne Absicht erreicht hät­te. Die Wur­zeln wer­den beim Trock­nen unan­sehn­lich, zusam­men­ge­schrumpft, zähe; ihr Geschmack ist weit bit­te­rer und weni­ger adstrin­gi­rend als der der chi­ne­si­schen und bucha­ri­schen, sie knir­schen nicht wie die­se unter den Zäh­nen, und ent­hal­ten kei­nen zucker­sau­ren Sele­nit, wovon die bucha­ri­sche 3/​32, die indi­sche aber sogar 9/​64 ihres Gewichts ent­hält, daher auch letz­te­re här­ter ist. Auch an abfüh­ren­den Kräf­ten steht die hie­si­ge der aus­län­di­schen gewiß merk­lich nach, wie ich selbst gese­hen, ver­muth­lich schon des­halb, weil man die Zeit zum Gewin­ne nicht abwar­tet und die Wur­zel, von der Pflan­zungs­zeit an gerech­net, schon im drit­ten Jah­re her­aus zu neh­men pflegt, wel­ches in Chi­na erst im zehn­ten Jah­re gesche­hen soll. Der Grund ihrer Ver­schie­den­heit liegt aber auch gewiß an der ver­schied­nen uns unbe­kann­ten Trock­nungs­art. Schnel­le, beträcht­li­che Wär­me, die die Chi­ne­ser auf stei­ner­nen Plat­ten zum Trock­nen anwen­den, fehlt bei unse­rer Trock­nung; die Güte der Wur­zel lei­det sehr durch lang­sa­mes Trock­nen. Und eben so gewiß ist die eigent­li­che Pflan­ze noch unbe­kannt. Nach Pal­las neu­es­ten Nach­rich­ten ist ein Rhe­um cruen­tumdie wahr­schein­lichs­te Mut­ter­pflan­ze, wel­che bei Tschi­gat­schekin Plan­ta­gen gezo­gen und von der chi­ne­si­schen Stadt Selinoder Sininund von der Gegend des Koko­n­oraus­ge­führt wird.

So lan­ge daher die bei uns gezo­ge­ne Rha­bar­ber nicht der frem­den an Güte gleich kömmt, soll­te kein Apo­the­ker sich her­aus­neh­men, die viel­leicht von ihm selbst gezo­ge­ne unvoll­kom­me­ne Sor­te der aus­län­di­schen unter­zu­schie­ben; er soll­te sie nur dann zu Arz­nei­en neh­men, wenn der Arzt sie aus beson­dern Rück­sich­ten unter einem eige­nen Nah­men (inlän­di­sche Rha­bar­ber, Rad. Rha­bar­ba­ri nost­ra­tis) ver­ord­net. Zu Tink­tu­ren ist sie eben­falls, ohne Vor­wis­sen des Arz­tes nicht zuläs­sig, da die abge­düns­te­te geis­ti­ge Tink­tur ein mehr bit­te­res und weni­ger adstrin­gi­ren­des Extrakt lie­fert, als die asiatische.

Die gute aus­län­di­sche Rha­bar­ber, sie sei nun bucha­ri­sche oder ost­in­di­sche, muß tro­cken, leicht zer­reib­lich, mäßig schwer, hell­gelb, inwen­dig mit rosen­farb-nen, gel­ben und mit etwas weiß gemisch­ten Adern, gleich dem Innern der Mus­ka­ten­nüs­se mar­mor­irt seyn, den eigent­hüm­li­chen star­ken Geruch und Geschmack haben, im Kau­en unter den Zäh­nen knir­schen, den Spei­chel schnell und stark safran­gelb fär­ben, ohne dabei viel Schlei­mi­ges und Kleb­ri­ges spü­ren zu las­sen, und weder schwärz­lich­te Fle­cken haben, noch wurm­sti­chig seyn. Sie muß bei mäßi­gem Kochen ein wäs­se­ri­ges und durch Aus­zug mit Wein­geist ein har­zi­ges (gleich­wohl in Was­ser auf­lös­li­ches Extrakt von wenigs­tens dem hal­ben Gewich­te der dazu genom­me­nen Wur­zel geben.

Die wurm­sti­chi­ge weiß man künst­lich und betrüg­lich durch eine Mas­se von Rha­bar­ber­pul­ver und Gum­mi­schleim, wel­ches in die Wurm­lö­cher gestri­chen wird, zu ver­män­teln. Man bricht sie daher beim Ein­han­deln auf, und sucht die Wurm­lö­cher im Innern auf, wohin die Mas­se nicht hat drin­gen kön­nen. Die etwa bei­gemisch­ten Rhapon­tik­wur­zeln unter­schei­den sich theils durch Ansehn und Far­be, theils beim Kau­en durch eine zähe­re, schlei­mi­ch­te­re Beschaf­fen­heit, durch einen zusam­men­zie­hen­de­ren, weni­ger bit­tern Geschmack, und einen schwäch­li­chern Geruch.

Die Rha­bar­ber ist in Pul­ver zu 20 bis 30 Gran als ein so gewöhn­li­ches Abfüh­rungs­mit­tel, selbst als Haus­mit­tel ein­ge­führt, daß man sich wun­dern muß, wie eine Sub­stanz von so ekel­haf­tem Geru­che und Geschma­cke, und die so viel Bauch­grim­men erregt, so all­ge­mein beliebt habe wer­den kön­nen. Sie erregt wenig Stuhl­gän­ge, geht aber doch mehr auf Aus­lee­rung des Unraths der Gedär­me, als vie­le ande­re Pur-gir­mit­tel. In die­ser Gabe bringt sie das Blut beträcht­lich in Wal­lung, hin­ter­läßt aber weni­ger Ermat­tung, als ande­re Pur­gan­zen. Da sie vor sich Bauch­grim­men und Abfüh­ren zuwe­ge bringt und viel adstrin­gi­ren­den Grund­stoff ent­hält, so könn­te man schon theo­re­tisch schlie­ßen, daß sie in Durch­fäl­len mit Bauch­grim­men ver­bun­den, und von Schwä­che unter­hal­ten, sehr dien­lich seyn müß­te, wenn es auch die Erfah­rung nicht viel­fäl­tig bestä­tig­te. Zu die­ser Absicht wird sie aber nur zu einem oder ein Paar Gran in Pul­ver oder als Tink­tur zu eini­gen Trop­fen gegeben.

Die Durch­fall hem­men­de Kraft in der Rha­bar­ber von ihrer pur­gi­ren­den geschie­den zu erhal­ten, hat man in ältern Zei­ten die­se Wur­zel gerös­tet (Rha­bar­barum tostum), ein unnüt­zes rohes Ver­fah­ren, da eine ver­rin­ger­te Gabe schon die­sen Zweck erreicht; wie­wohl es wahr ist, daß schon die Hit­ze beim star­ken Kochen die abfüh­ren­de Kraft der Rha­bar­ber ver­jagt, und daß in das destil­lir­te Was­ser die­se Eigen­schaft über­geht. Die geis­ti­ge Tink­tur, vor­züg­lich von der ost­in­di­schen, ent­hält mehr von den adstrin­gi­ren­den als von den bit­tern Thei­len, und stärkt daher mehr, als daß sie abfüh­ren sollte.

Bei Lei­bes­ver­stop­fung in Kör­pern von straf­fer Faser, oder bei ent­zünd­li­cher Beschaf­fen­heit des Bluts ist die Rha­bar­ber nicht zulässig.