Schlafmohn

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Schlaf­mohn, Papa­ver som­ni­fer­um L. [Zorn, pl. med. tab. 371.] mit glat­ten Frucht­de­cken, und ein­ge­schnit­te­nen, Sten­gel umfas­sen­den Blät­tern, ein auf vier Fuß hohes Som­mer­ge­wächs, wel­ches in Asi­en ein­hei­misch, im July in unsern Gär­ten und Fel­dern blüht.

Man hat zwei Abän­de­run­gen davon, den unter dem Kap­sel­de­ckel offe­nen und den ver­schlos­se­nen, aus dem die Samen nicht frei her­aus geschüt­telt wer­den kön­nen. Der ers­te­re ent­hält einen wei­ßen Samen (Sem. Papa­ve­ris albi) wel­cher theils zu Emul­sio­nen, theils zur Aus­pres­sung des Oels (Ol. papa­ve­ris), wovon man ein Vier­tel des ange­wen­de­ten Samen­ge­wich­tes erhält, genutzt wird. Der ver­schlos­se­ne Mohn ent­hält schwar­zen Samen (Sem. Papa­ve­ris nigri), wel­cher eine glei­che Men­ge Oel ent­hält, wie­wohl es nicht dar­aus gepreßt zu wer­den pflegt, und sei­ne Samen­kap­seln (Capi­ta, Capi­tu­la, Cap­su­lae Papa­ve­ris) wer­den in Offi­zi­nen aufbewahrt.

Aus der ange­ritz­ten, unrei­fen Frucht­kap­sel bei­der Sor­ten dringt ein dick­li­cher Milch­saft, wel­cher in jenen hei­ßen Gegen­den bald antrock­net, und so, vor­züg­lich in Nato­li­en, Per­si­en, Aegyp­ten und Ost­in­di­en als das Gum­mi­harz gesam­melt wird, wel­ches man in jenen Gegen­den Mas­lac nennt. Die­ses scheint aller­dings die bei uns im Han­del gewöhn­li­che Sor­te guter Mohn­saft (Opi­um) zu seyn, wel­cher wohl nicht durch Kochen und Aus­pres­sen der Mohn­köp­fe und Ein­di­ckung der Brü­he erhal­ten wer­den mag, wie Vie­le gewähnt haben, weil das Kochen und Ein­di­cken ein weni­ger riech­ba­res, unkräf­ti­ge­res, schwe­re­res, dun­kel­far­bi­ge­res und zähe­res Pro­dukt, (Meco­ni­umvon den Alten genannt) gie­bt, als unser Mohn­saft ist. Der gute Mohn­saft ist gleich­för­mig in sei­nen innern Thei­len, mit har­zi­gen Flim­mer­chen, ohne Unrei­nig­kei­ten, roth­braun, ziem­lich zähe, leicht, von sehr bit­term, eig­nem, auf­fal­len­dem, hit­zi­gem Geschma­cke, und stark betäu­ben­dem, kräf­ti­gem Geru­che, der nichts bran­di­ges hat, und brennt ans Licht gehal­ten schnell. Naß gemacht auf Papier gestri­chen, gie­bt es einen hell­brau­nen, wenig zusam­men­hän­gen­den Strich. Das ver­fälsch­te gie­bt einen zusam­men­hän­gen­den Strich, ist dun­kel­braun, auch wohl mit Sand ver­mischt, ohne Flim­mer inwen­dig, bran­dig im Geru­che und schwe­rer. Wir bekom­men den Mohn­saft in Stü­cken, wel­che vier bis zwölf Unzen wie­gen, mit eini­gen Pul­vern bestreut, das Ankle­ben zu ver­hin­dern, und in ver­schie­den­ar­ti­ge Blät­ter gehüllt, in Blät­ter von Mohn, Tabak, oder einer Art Men­gel­wur­zel. Ehe­dem ward er am bes­ten aus der Gegend von The­ben in Aegyp­ten gebracht (Opi­um the­bai­cum);jetzt aber heißt ein jeder gute Mohn­saft so, da er eben so gut aus andern Gegen­den kömmt.

Mit rek­ti­fi­zir­tem Wein­geis­te und trock­nem Wein­stein­lau­gen­sal­ze gerie­ben, (wo blos das Harz auf­ge­löst wird, indeß der Schleim mit dem Lau­gen­sal­ze am Boden bleibt) zeigt sich, daß der Mohn­saft zum größ­ten Thei­le aus Harz besteht, Brannt­wein löst ihn bis auf die Unrei­nig­kei­ten völ­lig auf, Harz und Schleim zugleich.

Beim Auf­gus­se in kochen­dem Was­ser zeigt sich, daß der Mohn­saft noch 1/​64 bis 1/​42 sei­nes Gewichts an schau­mi­cht öli­gem, zähem, stark rie­chen­dem Wesen oben­auf von sich gie­bt, in wel­chem der riech­ba­re, fast ein­zig wirk­sa­me Theil des Mohn­saf­tes ent­hal­ten zu seyn scheint, da lez­te­rer durch lang­wie­ri­ges Kochen und Diger­i­ren eben die­sel­be Men­ge an Gewich­te und zugleich sei­ne Kräf­te ver­liert, wor­auf man dann nichts mehr von jener ölich­ten Mate­rie gewahr wird. Das vom Mohn­saft in der wäs­se­ri­gen Destil­la­ti­on über­ge­hen­de Was­ser ist star­krie­chend, und scheint die­sen wirk­sams­ten Theil des Mohn­saf­tes zu ent­hal­ten. Man sieht hier­aus, war­um die Mohn­saf­tex­trak­te immer kaum halb so kräf­tig als das rohe Opi­um sind.

Es gie­bt bei­na­he kein Arz­nei­mit­tel, was so häu­fig von Aerz­ten in fast jeder Krank­heit gebraucht wür­de, als der Mohn­saft. Da ein Arz­nei­mit­tel aber nur für eini­ge Krank­heits­fäl­le pas­sen kann, so sieht man leicht, daß er unend­lich öfte­rer, am unrech­ten Orte ange­wen­det, das ist, gemiß­braucht wer­de. Der Mohn­saft erregt bei Unge­wöhn­ten in mäßi­ger Gabe zuerst Käl­te, lang­sa­men Puls, Schwie­rig­keit der Bewe­gung, ver­min­der­te Emp­fin­dung, Unbe­sinn­lich­keit, Unru­he, Schläf­rig­keit, Schlaf mit Schnar­chen, dann schnel­lern, vol­lern Puls als in gesun­den Tagen, Hit­ze, Muth, erhö­he­te, ange­neh­me Phan­ta­sie, Schweiß, Lei­bes­ver­stop­fung, und es bleibt hin­ter­drein Unzu­frie­den­heit, Fros­tig­keit, Schwäch­lich­keit, erhö­he­te krank­haf­te Emp­find­lich­keit, und Gal­li­ur­ges­zenz zurück. Bei dar­an Gewöhn­ten fällt die ers­te­re Wir­kung weg, die Nach­we­hen aber ver­meh­ren sich all­mäh­lich, so daß Stu­pi­di­tät, Schüch­tern­heit, Träg­heit, Lebens­über­druß, Mager­keit, Schwä­che, Leu­te cha­rak­te­ri­sirt, die Jah­re­lang den Mohn­saft gemiß­braucht haben. In all­zu gro­ßer Gabe töd­tet der Mohn­saft leicht bin­nen weni­gen Stun­den unter gro­ßer Unru­he, Unbe­sinn­lich­keit, ein­ge­fal­le­nem Gesich­te, Käl­te, kal­tem Schweis­se, lang­sa­mem Schnar­chen, seit­wärts gedreh­tem Kop­fe, off­nen, auf­wärts gekehr­ten Augen und Kon­vul­sio­nen. Die Fäl­le, wo er hülf­reich ist, sind nicht völ­lig aufs Rei­ne. Er scheint hülf­reich in den Zufäl­len von Schreck, in den Ner­ven­fie­bern robus­ter Per­so­nen mit Unru­he, Unbe­sinn­lich­keit, Schlaf­trun­ken­heit, Irre­reden, Reden und Schnar­chen im Schla­fe, u.s.w. im Sin­ken der Kräf­te und Ner­ven­fie­ber­sym­pto­men bei Blat­tern, im Ner­ven­fie­ber bei der Ruhr, bei sopo­rö­sen Wech­sel­fie­bern, ver­muth­lich auch in toni­schen Krämp­fen, ört­li­chen Pare­sen und ört­li­chen Ent­zün­dun­gen, folg­lich in eini­gen Fäl­len der Ruhr, der Blei­ko­lik, der Darm­ein­k­lem-mung, des Sei­ten­stichs, bei eini­gen Augen­ent­zün­dun­gen, bei chro­ni­scher Nei­gung zur Lei­bes­ver­stop­fung, u.s.w. In sol­chen wohl unter­schied­nen Fäl­len kann man den in klei­ner und mäßi­ger Gabe gebrauch­ten Mohn­saft als Heil­mit­tel ansehn. Bei eini­gen ent­ge­gen­ge­setz­ten Zufäl­len aber, von kurz­dau­ern­der Natur kann er zwar auch mit Glück als Pal­lia­tiv ange­wen­det wer­den, wor­un­ter eini­ge gro­ße Schmer­zen, Hus­ten, Krämp­fe, Durch­fäl­le, Schlaf­lo­sig­kei­ten, Blut­flüs­se gehö­ren, wo weder Ple­tho­ra, noch mate­ri­el­le Ursa­chen, noch wesent­li­cher Ver­lust der Kräf­te durch Hun­ger, Blut­stür­ze, Samen­ver­lust, u.s.w. zuge­gen ist; man wird aber leicht beob­ach­ten kön­nen, daß der gewöhn­li­che Arzt die Fäl­le nicht unter­schei­det, und blos mit der augen­blick­li­chen Unter­drü­ckung der hef­ti­gen Zufäl­le aller Art und ohne Unter­scheid durch Opi­ate, sei­nem Kran­ken schmei­chelt, ohne die häu­fi­gen Ver­schlim­me­run­gen hin­ten­drein so leicht wie­der gut machen zu kön­nen, außer daß etwa sei­ne Bered­sam­keit sie auf Rech­nung and­rer Ursa­chen zu schie­ben nicht sel­ten glück­lich genug ist. Die kleins­te Men­ge Mohn­saft (1/​40 bis 1/​20 Gran in der geis­ti­gen Auf­lö­sung) ist auf die Gabe für Erwach­se­ne gewöhn­lich hin­rei­chend (aller 12 bis 8 Stun­den wie­der­hohlt) wo der Mohn­saft als kura­ti­ves Heil­mit­tel an sei­nem rech­ten Plat­ze ist; nur wo die heroi­schen Aerz­te einen schnel­len Erfolg, pal­lia­tiv, erzwin­gen wol­len, schrei­ten sie zum Hun­dert- und Tau­send­fa­chen der vor­hin ange­geb­nen Gabe; ein Wag­stück, das ihrer Ein­sicht, ihrer Erfah­rung und der Zart­heit ihres Gewis­sens ledig­lich zu über­las­sen ist. Fast immer, wo er pal­lia­tiv gege­ben wird, ist ein and­res kura­ti­ves Heil­mit­tel ange­zeigt. Die Arz­nei, die die übri­ge Krank­heit hebt, hebt auch die Schmer­zen und die Schlaf­lo­sig­keit dabei zweck­mä­ßig. Ein Arzt, der bei jeder Agryp­nie und jedem Schmer­ze und jedem Hus­ten und jedem Durch­fall nach Mohn­saft greift, gehört in die obers­te Klas­se der Quacksalber.

Die trock­nen, vor­züg­lich die grün getrock­ne­ten Mohn­köp­fe ent­hal­ten viel Opi­um, und es ist daher unver­zeih­lich, sie so ohne Unter­schied Kin­der­wär­te­rin­nen, Ammen und sonst unwis­sen­den Leu­ten zu ver­kau­fen, wel­che damit die von Ueber­la­dung, Säu­re im Magen, u.s.w. erkrank­ten, schlaf­lo­sen Kin­der damit zum Schwei­gen zu brin­gen suchen, wodurch unzäh­li­ge Mord­tha­ten began­gen wor­den sind. Selbst der Arzt soll­te sie nicht in Auf­güs­sen, u.s.w. inner­lich ver­schrei­ben, da die Men­ge Mohn­saft dar­in so unbe­stimm­bar ist. Wenn die sorg­fäl­tigs­te Bestim­mung der Gabe eines jeden kräf­ti­gen Arz­nei­mit­tels nicht sorg­fäl­tig und bestimmt genug seyn kann, wie behut­sam soll­te man nicht bei einem der aller­kräf­tigs­ten, dem Mohn­saf­te und sei­nen Berei­tun­gen, zu Wer­ke gehen!

Auch äußer­lich, in Auf­lö­sung ange­bracht, z.B. bei sym­pto­ma­ti­schem Erbre­chen in die Gegend des Magens auf­ge­legt, leis­tet der Mohn­saft nicht viel gerin­ge­re Wir­kun­gen; im Klysti­re aber bei­gebracht darf die Gabe nicht im min­des­ten höher seyn, als beim Ein­neh­men durch den Mund. Ein Gran Mohn­saft tödet ein jäh­ri­ges Kind, er mag ihm ein­ge­ge­ben oder als Klystir ein­ge­spritzt wor­den seyn. Auf haut­lo­se Stel­len und Wun­den gelegt bringt er Ent­zün­dung und Brand hervor.

Die ein­fa­che Tink­tur ersetzt alle and­re Mohnsaftbereitungen.

Ob der Mohn­sa­men gar kei­ne Mohn­saft­ei­gen­schaf­ten habe, ist noch nicht völ­lig aus­ge­macht. In dem öl-ich­ten Ker­ne, so wie ver­muth­lich auch in dem aus­ge­preß­ten Oele und den Emul­sio­nen ist kei­ne ent­hal­ten, ob aber in den Hül­sen kei­ne vor­han­den sei, ist mir zwei­fel­haft. Man darf nur die Oel­ku­chen von Mohn­sa­men schme­cken und rie­chen, um eini­ge Bedenk­lich­kei­ten dar­über zu fas­sen. So wie aber der Mohn­sa­men gewöhn­lich genos­sen wird, mögen wohl die Hül­sen größ­tent­heils unver­dau­et blei­ben, oft aber, wie bei Back­werk, ist alle etwa­ni­ge Arz­nei­kraft von der Hit­ze verflogen.

Bei Mohn­saft­ver­gif­tun­gen sind Klysti­re von star­kem Kaf­fe, auch, wie man beob­ach­tet hat, Kam­pher sehr hülfreich.