Virginientabak

Hahnemanns Apothekerlexikon
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Vir­gi­ni­en­ta­bak, Nico­tia­na Taba­cum, L. [Zorn, pl. med. tab. 252] mit ovall­an­zet­för­mi­gen, unge­stiel­ten, her­ab­lau­fen­den Blät­tern, und spitz­ge­leg­ten Blu­men; ein meh­re­re Fuß hohes Kraut bei uns mit ein­jäh­ri­ger, im süd­li­chen Ame­ri­ka aber, wo es ursprüng­lich ein­hei­misch ist, mit zehn bis zwölf­jäh­ri­ger Wur­zel, wel­ches im J. 1560 durch den fran­zö­si­schen Gesand­ten am por­tu­gie­si­schen Hofe, Nicot, zuerst in Euro­pa ein­ge­führt wor­den ist, und bei uns im August blaß­roth blüht.

Die frisch etwas kleb­ri­gen Blät­ter (Fol. Taba­ci, s. Nico­tia­nae) erhö­hen ihren eig­nen nar­ko­ti­schen Geruch und bei­ßend bit­ter­li­chen Geschmack durchs Trock­nen, blit­zen und ver­puf­fen ange­zün­det an meh­rern Stel­len, beson­ders an den Stie­len, damp­fen einen betäu­ben­den Rauch aus und ver­glim­men zur wei­ßen Asche. Der Rauch sowohl, als der Auf­guß der trock­nen und der Dick­saft der fri­schen Blät­ter äußern eine besond­re hef­ti­ge Wir­kung, am meis­ten bei Unge­wohn­ten. Aus­ser dem Zusam­men­fluß des Spei­chels im Mun­de, und dem Nie­ßen, all­ge­mei­ne Käl­te und Schwä­che, gro­ße Angst, Ver­dun­ke­lung der Sin­nen, Trun­ken­heit, kal­ten Schweiß, Zusam­men­zie­hungs-krampf des Schlun­des, der Luft­röhräs­te (Ersti­ckung), des Magens, der Gedär­me, Schwin­del, Uebel­keit, Wür­gen, Diar­rhöe, Harn­fluß, Ohn­mach­ten, Ver­min­de­rung der Emp­fin­dung des Spei­se­ka­nals, ver­min­der­te Reit­zbar­keit der dem Wil­len unter­wor­fe­nen Mus­keln, Schlag­fluß u.s.w. Doch muß man geste­hen, daß die Effek­te des Tabak­krau­tes noch lan­ge nicht alle genau beob­ach­tet wor­den sind, wor­an der die Beob­ach­tun­gen ver­wir­ren­de Mis­brauch die­ses Krau­tes beim Rau­chen, Schnup­fen und Kau­en, auch wohl die Unge­nau­ig­keit der Beob­ach­ter selbst Schuld zu seyn scheint.

Die häu­figs­te arz­nei­li­che Anwen­dung war bis­her die Ein­brin­gung des Rauchs als Klystir bei Ertrun­ke­nen, oder auf and­re Art Ersti­cken, um zuerst die Reit­zbar­keit der Gedär­me und hie­durch die des gan­zen Kör­pers wie­der rege zu machen – theils mit­telst eig­ner zusam­men­ge­setz­te­rer, und ein­fa­che­rer Maschi­nen, (Tabaksklystir­ma­schi­nen), theils durch die ein­fachs­te Art, durch etli­che Zoll tie­fe Ein­brin­gung der Röh­re einer thö­ner­nen Tabaks­pfei­fe, auf deren halb voll mit Rauch­ta­bak gestopf­ten Kopf man den Mund auf­setzt und so den Rauch ein­bläßt. So gewiß man hie­durch oft sei­nen Zweck erreich­te, so gewiß ist es auch, daß man die Men­ge des ein­ge­brach­ten Rauchs oft über­trieb, und so dem Kran­ken, wenn er wie­der zu sich kam, jenes Heer von schreck­li­chen Zufäl­len, deren ich oben gedach­te, zuzog, die oft das eben ange­fach­te schwa­che Leben wie­der aus­lösch­ten. Die Ein­brin­gung des Rauchs von einem Quent­chen gutem Tabak – allen­falls in Zwi­schen­zei­ten wie­der­holt, scheint eine hin­rei­chen­de Gabe zu die­ser Absicht zu seyn, die alles aus­rich­ten wird, was über­haupt vom Tabaks­rauchklystir erwar­tet wer­den kann. Nicht sel­ten hat man auch gute Anwen­dung von die­sem Klys­ti-re bei eini­gen Arten von Ileus, wenigs­tens der Ver­stop­fung von krampf­haf­ter Zusam­men­zie­hung der Gedär­me, und bei ein­ge­klemm­ten Brü­chen gemacht, bei wel­chen lez­tern der gute Erfolg des Rauchs wohl nicht sel­ten von sei­ner all­ge­mei­nen, und unge­mei­nen Erschlaf­fungs- und Abspan­nungs­kraft des gan­zen äus­sern Kör­pers zugleich mit her­ge­rührt zu haben scheint.

Glei­che Wir­kung hat man in allen die­sen Fäl­len von Ein­sprit­zung des wäs­se­ri­gen Auf­gus­ses erfah­ren, nur daß man auch hier oft die Gaben unge­heu­er über­trieb und nicht sel­ten schlim­me Nach­we­hen erreg­te. Zehn Gran Pul­ver mit zwölf bis sechs­zehn Unzen sie­den­dem Was­ser bis zum Ver­küh­len eine Vier­tel­stun­de lang auf­ge­gos­sen, scheint für Erwach­se­ne schon eine hin­läng­lich gro­ße Gabe auf ein Klystir zu seyn, wel­ches der Sicher­heit hal­ber get­heilt und auf zwei­mahl in den nöthi­gen Zwi­schen­zei­ten ein­ge­bracht wird. Man muß wis­sen, daß man es mit einem der hef­tigs­ten Gewäch­se zu thun hat.

Aus­ser­dem hat man des Fow­ler­schen Tabaks­auf­guß (eine Unze Pul­ver der trock­nen Blät­ter mit sechs­zehn Unzen kochen­dem Was­ser in einem ver­deck­ten Geschir­re eine Stun­de infun­dirt, und dem Durch­ge­s­ei-heten zwei Unzen Wein­geist zuge­setzt) zu 40 und meh­rern Trop­fen täg­lich zwei­mahl gege­ben, in eini­gen Arten Was­ser­sucht (von tonisch­krampf­haf­ter Natur?) so wie in der Disu­rie und den übri­gen Zufäl­len der Nie­ren­stein­ko­lik mit auf­fal­len­dem Nut­zen ange­wen­det. Auch in gewis­sen Arten Hus­ten und Eng­brüs­tig­keit soll er Diens­te geleis­tet haben. Doch scheint eine in der Käl­te berei­te­te geis­ti­ge Tink­tur ein sich glei­cher blei­ben­des Mit­tel, die Gabe aber über­haupt noch etwas zu stark zu seyn, in den meis­ten Fällen.

Der äus­se­re Gebrauch des Tabaks gegen Haut­aus­schlä­ge und Unge­zie­fer der Haut scheint in vie­len Fäl­len ein sehr unsi­che­res und gefähr­li­ches Mit­tel zu seyn; so wie auch sein inne­rer Gebrauch bei hys­te­ri­schen und epi­lep­ti­schen Per­so­nen gro­ße Ein­schrän­kung leidet.

Ein Anti­do­tum sei­ner zuwei­len sehr beun­ru­hi­gen­den Wir­kun­gen hat man bis­her sich nicht bemüht aus­zu­for­schen. Indes­sen scheint die Zitron­säu­re etwas auszurichten.